Kultur, Entwicklung, Zukunft – Ein Interview

von Dr. Raphael Hochstrasser

Interview anlässliche einer Vertiefungsarbeit meiner Nichte

Frage (Aspekt Kultur):
Worin unterscheidet sich die chinesische Kultur von der europäischen Kultur und welche Gründe spielen welche Rolle beim Erfolg der Chinesischen Heilkunst?

Kultur ist ein Begriff mit weitreichender Bedeutung. Nicht nur die Ausdehnung der Bevölkerungsmasse und der Landesgrenzen, auch das Geschehnissreichtum der jüngsten Geschichte Chinas lässt klar werden, dass sich „die Kultur“ Chinas nicht so leicht zu etwas Benennbarem zusammenfassen lässt. Dennoch wiederspiegeln die Fragmente der politischen Achterbahnfahrt des letzten Jahrhunderts die heutige Mentalität. Die kommunistische Vergangenheit zeigt sich, im Vergleich zu unserem gelebten Individualismus, in etwas, dass ich als eine Art Flachheit bezeichnen würde. Eine Monotonität und Anpassungsfähigkeit, welche es den Chinesen erst überhaupt möglich macht, in einer derart hohen Bevölkerungsdichte nebeneinander zu existieren. Dies erklärt zugleich auch den Funktionalismus – von Aussen häufig zu unrecht als Pragmatismus verstanden – welchen uns die Chinesen vorleben. Sie können widerstandslos in Formen schlüpfen. Seien es z. B. Umgangsformen oder Hierarchien und Gepflogenheiten in Familien- oder Unternehmenstrukturen, sei es im Verkehr oder in der Edukation. Und da sind wir beim zweiten Punkt Deiner Frage angelangt. Vor den 60er Jahren, also vor der Kulturrevolution, wurde die Chinesische Medizin im Lehrer-Schüler-Verhältnis weitergegeben. Interessant dabei ist, dass in einer solchen persönlichen Lernsituation nicht nur Wissen, sondern auch intuitive Techniken und spirituelle Energie weitervererbt werden konnte. Der Hauptgrund der klinischen Effektivität der Chinesischen Medizin liegt aber vor allem darin, dass über Tausende von Jahren immer wieder getestet, verfeinert und verbessert wurde, ohne von den grundsätzlich funktionalen Methoden abzukommen. An erster Stelle steht die Funktionalität, danach kommt die Theorie, sozusagen als Aufhängung, um das praktisch gesammelte Wissen strukturiert anzulegen. Dies ist ein weiterer wesentlicher Unterschied zur Wissenschaft im Westen, wo die Grundlagenforschung als Speerspitze des Fortschritts fungiert. Der Wert der Chinesischen Medizin lässt sich von Aussen vielleicht erahnen, wenn man bedenkt, durch wieviele schlaue Mühlen dieser Wissenschatz über Tausende Jahre von Generation zu Generation verarbeitet wurde; immer wieder überprüft, verfeinert, erfasst, reorganisiert und weitervermittelt. So etwas wie das heutige Patenschutzrecht hätte diese Entwicklung verunmöglicht. Vielleicht ist das ein kleiner Augenöffner für uns, weil er dem bösgesagten Kommunismus einen fulminanten Vorteil zuspricht: Der gemeinsamen und frei zugänglichen medizinischen Entwicklung zum Wohle der Menschheit.

Frage: (Aspekt Technik, Wirtschaft)
Welche Entwicklungsschritte durchlief die TCM (Traditionelle Chinesische Medizin) bis zur heutigen Form und welche Techniken und Methoden kommen heute zur Anwendung?

Angefangen hat es vor mindestens 5000 Jahren (siehe Ötzi). Akupunktur: Zu Beginn haben die Menschen vermutlich mit Knochen- und Steinsplittern an Punkten herumgedrückt und bemerkt, dass dies den Schmerz  anderer Stelle stillen kann oder den Heilprozess einer Krankheit beschleunigt. Arzneimitteltherapie: Der Übergang von Diätetik zur Arzneimitteltherapie ist auch heute noch fliessend, viele Chinesische Arzneimittel sind Nahrungsmittel bzw. umgekehrt. Vermutlich wurde zu Beginn, ähnlich wie bei Tieren*, die Wirkung bestimmter Nahrungsmittel auf den Gesundheitszustand unbewusst wahrgenommen und gesteuert. Nach und nach wurde bewusster differenziert und spezifische Erfahrungen konnten erfasst und weitergegeben werden. (*Es einige bekannte Beispiele von Tieren, die sich bei gesundheitlichen Problemen intuitiv von bestimmten Heilmitteln ernähren.) In einer späteren Phase, in der Zeit der ersten Kaiserdynastien, genossen Monarchen umsomehr Ansehen, je besser sie sich in den medizinischen Disziplinen verstanden. Halbe Heerschaften der besten Ärzte wurden vom jeweiligen Kaiser dazu engagiert, die höchste aller Künste weiter zu kultivieren. So bildet z. B. „das Werk des Innern vom Gelben Kaiser“ auch heute noch eines der wichtigsten Grundlagen für die tägliche Praxisarbeit: Huang Di Nei Jing, ein rund 2000 Jahre altes umfangreiches Werk über die Grundlagen und therapeutischen Massnahmen der Chinesischen Medizin. In der nachfolgenden Zeit verging kaum ein Jahrhundert ohne die Erscheinung eines weiteren grossen Werkes. Und es ist beachtenswert, dass es sich dabei um, auch für heutige Massstäbe, erstaunlich wissenschaftliche Arbeiten handelt, nicht nur in punkto Umfang, sondern auch was die Systematik, Reproduzierbarkeit und Nennung bestehender Literaturquellen anbelangt. Natürlich brachten die verschiedenen Epochen auch verschiedene grundlegende Philosophien und Betonungen der Lehren hervor, was aber dem gesamten Wissensschatz zu Gute kam, da er immer wieder unter neuen Aspekten beleuchtet und verfeinert wurde. Schliesslich, in den 60er Jahren, versuchte Mao ZeDong, Führer der Kulturrevolution und späterer Diktator, die Chinesische Medizin zunächst zu verbieten. Kurz darauf sackte aber das Gesundheitssystem Chinas zusammen, worauf er die erste Fakultät für Chinesische Medizin schuf, und damit das, was sich heute offiziell TCM nennt.

Frage: (Aspekte Kultur, Identität/Sozilisation, Ethik)
Weshalb spielt die Ernährung in der TCM eine so grosse Rolle und welche Zukunft kann man der TCM prognostizieren?

Die primäre Therapieform der TCM ist die Anpassung der Lebensweise, um die pathogenen Faktoren zu vermeiden und um die gesundmachenden Faktoren zu fördern. Im alten China galt der Stand eines Mediziners umso höher, je feiner seine Massnahmen waren. Zuunterst auf der Liste standen Chirurgen, sozusagen die grobschlächtigen Metzger. Je feinstofflicher die Eingriffe, desto kleiner der Aufwand und die Nebenwirkungen, je höher der Zugriff in der Kaskade, desto mehr positiv beinflusste Anteile im Autoregulationssystem Mensch-Natur. Umgebungsgestaltung (Feng Shui) oder Ernährung sind natürliche Lebensfaktoren, die schon durch kleine Veränderungen zu hervorragenden Heilungseffekten führen können. Und genau darauf fusst die primäre therapeutische Strategie der chinesischen Medizin. Im Bezug auf die Ernährung hat Paracelsus mal ‚was schlaues dazu gesagt: ‚Lass die Nahrung Deine Arznei sein, nicht die Arznei Deine Nahrung“. Eine zeitlose Heilformel und herrvorragende Metapher zwischen dem heutigen Ost und West, Prosac und Grüntee.
Die Prognose? Allem Anschein nach – und hier sind sich viele geniale Denker, virtuose Wissenschafter und esotherische Meister einig – steht der Menschheit ein epochaler Entwicklungsschritt in ein neues Zeitalter bevor. Da wäre z. B. die elektromagnetische Strahlung der Sonne, welche nachweislich schon seit jeher mit den Peaks der menschlichen Errungenschaften und Hochkulturen korreliert und Ende 2012 einen Supergau erwarten lässt. Dem selben Jahr, in dem der astronomisch 100% solide Mayakalender endet und Nostradamus, sowie weitere Propheten schon vor Dekaden ein neues Zeitalter heraufbeschwörten. Ich persönlich glaube an eine spirituelle Entwicklung der Menschheit, mit welcher die Chinesische Medizin in früheren Zeiten und vermutlich auch in dieser Zukunft problemlos einhergeht. Das rationale Zeitalter der fanatischen Mathematik- und Geldreligion nähert sich dem Ende, so hoffe ich… :o)