Jun 5 2006

Reise(sser) Bericht Teil II -..-

von Dr. Raphael Hochstrasser

05.06.2006

Liebe Freunde

Im Teil II von ‘Reise-ssern’ geht es um zwei Themen, welche auf den ersten Blick nicht weiter bemerkenswert erscheinen moegen: Essen und Verkehr. Ich behaupte indes, dass sie als Abbild fuer Mentalitaet und Kultur eines Volkes aussagekraeftiger und praegender sind Museen, oder andere eigens dafuer geschaffenen Einrichtungen und Bauwerke, die Kultur und Traditionen konservieren (sollen).

Nichts liegt dem Menschen naeher als…
Leser des ersten Teils wissen, dass sich mein Nahrungsverwertungssystem erst nach einer tiefgruendigen (bis ans…) Eingewohenphase auf die hiesige Esskultur einlassen konnte. Neu ist, dass ich – genetisch bedingte Bohnenstange – mir darueber hinaus das erste mal in meinem Leben ein Raenzlein angefressen habe. Doch interessanter als die anscheinend defintiven 5 kg ‘Zuwachs’ sind natuerlich die Gruende, die diesem, ich kann es mir den Begriff an dieser Stelle nicht verklemmen, ‘Phaenomen’ zu Grunde liegen.
Nicht nur naturgemaess, auch in philosophischer, ja man moechte sogar meinen selbst in musischer Hinsicht, gibt es bei den Chinesen kein Thema, das mehr Raum einnimmt als Essen. Und zwar in allen moeglichen Nuancen und Richtungen, man kann es so breit und weit dargelegen wie man nur will, an Grenzen wird man nicht stossen. Daher beschraenke ich mich hier dieses mal auf einen einzigen Aspekt, der mir erwaehnenswert scheint.

Restriktive Regeln beim Biersaufen.
Vorbereitend wird fuer alle Konsumenten gemeinsam (!) eine bestimmte Anzahl Flaschen Bier beordert. Waehrend man mit der Mahlzeit gleich beginnt, sobald man etwas vorgesetzt bekommt, wird vom Bier erst dann gelabt, nachdem der Gastgeber oder Ranghöchste sein Glas zum ersten Anstoss erhebt. ‘Ganbei’ lautet die Losung, welche ‘Ex und Hopp’ fuer alle bedeutet, die Ihr Gesicht nicht verlieren moechten. Sie erklingt mindestens beim ersten und letzten Glas. Dazwischen gilt: Sobald jemand Hand an sein Glas legt, ziehen alle anderen mit. Wird die Losung nicht gesprochen, wandern dafuer waherend dem Trinken die Augenpaare aller Beteiligten nervoes hin- und her, nicht nur um die Zeitgenauigkeit, sondern auch die Menge genaustens zu synchronisieren. Synchronismus, Sozialismus, Kommunismus?
Zum Bestellen wird man oftmals direkt in die Kueche gefuehrt. Dort soll man aussuchen was einem passt und dem Koch bei der Zubereitung so richtig dreinreden. Kuerzlich musste ich sogar mit in den Garten um das arme Huhn auszuwaehlen, dass auf dem Teller landete. Zu Beginn, dank meiner Moralvorstellung „Hinsehen & Verantwortung tragen“, noch mit gewissem Stolz beseelt, im Laufe des Geschehens zusehends mit Appetittverlust. Ich halte den Chinesen zu Gute, dass sie die Tiere beinahe komplett, also inklusive Beine, Kopf, Innereien, etc. verzehren und nicht wie wir, zwei Drittel davon wegschmeissen. Auch wenn ihr Umgang mit unseren lieben Freunden aus der Natur oft ziemlich gnaden- und scheinbar gefuehlslos von statten geht, scheint es den Tieren in den vielen Kleinwirtschaften hier deutlich besser zu gehen, als jenen, die in industrialisierten Schlachthöfen herangemästet werden, um letztlich auf dem Teller des vermeintlich moralisch überlegenen, westlichen Durchschnittsbürger zu landen.

Verkehr
Bei uns ist es nur noch der zweisame Verkehr, hier aber auch der oeffentliche-, der ein soziales Ereignis darstellt. Im Gegensatz zum ‘stop & go-modus’, welcher in unseren Breitengraden praktiziert wird, laueft das ganze hier etwas homogener ab. Anarchie scheint im chinesischen Verkehrsgebaerden tatsaechlich einen fruchtbaren Naehrboden zu finden. Gegenverkehrt (lat. auch: pervers) beispielsweise faellt nicht weiters auf. Und wenn’s chloepft – bei den durchschnittlich kleinen Chinesen ist Grösse tatsächlich noch ein Vorteil – gewinnt meist der Grössere. Dann heisst’s aufstehen und weiter gehts. Hm, all diese Phrasen sind eindeutig nicht ganz un-zweideutig.
Oder im Provinzbus: „Herr Chauffeur, wann faehrt dieser Bus eigentlich?” – „Na gut, dann fahren wir” – „Brumm…”. Wenn’s dann nicht genug Fahrgaeste sind, ruft der Kontrolleur irgendwelchen Leuten zu: „Es geht nach X, moechtest Du mitkommen, oder wohin solls gehen?”.

Verkehrszaehlung
Bei einer Verkehrszaehlung durch einen inoffiziellen Schweizer Beamten kam folgendes heraus:
Rund 70 % der Verkehrsteilnehmer benutzen die Velospur. Der Begriff ‘Fahrraeder’ trifft dabei eher zu als ‘Velos’. Denn Velos im klassischen Sinne bilden nur etwa die Haelfte davon, Elektromopeds ca. 20%, und andere Mobile wie Dreiraeder, Vierraeder, Rollstuehle, Irgendwas-getrampel-getriebenes… ca. 10% davon. Die anderen 30% bestehen, wie bei uns, aus den – angesichts der Zukunft und Umwelt ziemlich hirnverbrannten und arroganten Fortbewegungsmitteln, die stinken und laermen. Nicht etwa das dies der Grund ist, weshalb der ‘gute’ Anteil hier noch bei 70% liegt. Nein, der Grund dafuer ist hauptsaechlich finanzieller Art. Dennoch passt es irgendwie zur Mentalitaet. Denn, wirklich, nie habe ich jemanden stressen, oder schnell fahren sehen. Meist bin ich gar der schnellste, selbst wenn ichs easy nehme. Nochmals zurueck zu den positiven Effekten der hier hauptsaechlich vernuenftigen praktizierten Fortbewegungsart *schwaerm*: Nicht nur der Umwelt geht es dadurch besser, ich behaupte z. B., dass Bewegungsmangel in der westlichen Welt die Krankheitsursache Nr. 1 ist. Und in den basics der Chinesischen Medizin erfaehrt man bereits, dass sich der Geist durch die koeperliche Bewegung erholen und entspannen kann. Die Menschen scheinen hier tatsaechlich relaxed, freundlich und friedlich. Ein weiterer Aspekt ist der soziale. Wo man sich bei uns hoechstens noch bei sHell, Esso (uebrigens der am boycott-wertesten) oder anderen Tankstellen trifft, kann es hier an einer Kreuzung schon mal wie auf dem Jahmarkt zu und her gehen.

Punktum
Selbst oft mit endlosen Reiseberichten geplagt, biete ich hier einen Punkt des allgemeinen Teils an. Fuer jene, die aber tatsaechlich nichts besseres zu tun haben als solch Schmaren zu vertilgen, hier noch ein bisschen persoenlicher Kram:

Erstmal eine Recht-fertigung, weshalb meine Schreib-weise nicht recht fertig oder weise ist: Der Compi, korrigiert mein vermeintliches Deutsch in irgendwelchen Sprachen, es ist ein Scheiss, er alles besser weiss. Man moege sich nun hintersinnen, weshalb der Raphael diese Funktionen nicht kurzerhand deaktiviert. Entgegnung: Kennst Du: „Mir kommt alles Chinesisch vor?“ Tja, wie es dann wohl sein mag, wenn’s tatsaechlich so ist?

Und dann zum Stand der Dinge: Sehr oft. Dazu kommt, dass mich mein chinesisches Schaetzli auch sprachlich zu ungeahnten Lernfortschritten treibt. Mittlerweile fuehle ich mich durch das viele SMSeln (wer meine Abneigung gegenueber Handy/ismus kennt der hat nun Grund zum staunen) bei den Zeichen sogar woehler als beim sprechen (wer meine Vorliebe fuers Labern kennt der staune gleich noch mehr). Das hat damit zu tun, das letzeres naemlich nur dann hinhaut, wenn man die richtige Betonung trifft. Nebenbei erwaehnt: Im Chinesischen gibt es pro Silbe fuenf Betonungen, die ganz unterschiedliche Bedeutungen vermitteln, die Betonung des ganzen Satzes kommt übrigens noch hinzu.

Nach ueber 2 Monaten habe ich vom Praktikum im TCM Spital Kunming immer noch nicht genug und verlaengere es, trotz einsetzender Regenzeit, nochmals um zwei Wochen. Danach geht’s waehrend einer Woche Umwege durchs Vorhimalayagebiet (den Namen darf ich hier nicht bzw. nur so: ‘Diibeet’ erwaehnen, emails und alles warden naemlich vom grossen Bruder gescannt und zensuriaert <– besonders auf solche Woerter reagieren die heikel…) nach Chendgdu. Von dort aus nach Peking um den Auftakt Claude Diolosas (ein kleiner TCM Guru) TCM-Studiumsreise mitzuerleben. Danach wieder zurueck nach Chengdu um weitere 3 Intensivwochen TCM abzustoggeln.

Oehm, sonst ist alles in Butter, voll geil und so, echt!

Liebe Gruesse (und fuer die, die wollen) Kuesse

Raffa


Apr 22 2006

Reise(sser) Bericht Teil I -..-

von Dr. Raphael Hochstrasser

22.04.2006

liebe froynde…

hier mal ein paar news ueber ‚raepfel in china‘

(…falls es dir auf den sack geht, einfach nicht weiterlesen und dieses, sowie weitere ‚reis-e-sser-mails‘ papierkoerblen…)

Die kleinen Unterschiede im alltaeglichen Leben werden oft zum eigentlichen Abenteuer in einem fremden Kulturgebiet. So habe ich mich auch erst nach einer unfreiwillgen Anpassungsphase inkl. erzwungener Darmreinigungs- und Fastenkur mit dem Essen hier versoehnt.

Bekannterweise sind Chinesen hauptsaechlich an drei Dingen im Leben interessiert: Familie, Essen und Geld. In Kunming, der Stadt des ewigen Fruehlings – es herrscht tatsaechlich das ganze Jahr Fruehlingsklima – scheint sich dieses Klischee nur teilweise zu bewahrheiten. Ich bin einfach ‚huere paff‘ und uebergluecklich ob der Stimmung und den Menschen hier, ‚man man lai‘, relaxed, easy, offen und liebenswuerdig.

Viel zu geil, wie versucht wird mit uns kein-Wort-Chinesisch-Sprechenden zu kommunizieren. Die reden einfach drauf los und schauen einem dann erwartungsvoll in die Augen. Einfach herzig! (Dieser von verhuschelten Menschen überstrapazierte Ausdruck ist an dieser Stelle nun wirklich mal angemessen). Die Offenheit, besonders der meist sehr herzigen Chineslinnen ;o) macht mich halt einfach weich…

Fuer manch einen ‚Westler‘ – ich schliesse mich glücklich aus – waere es vielleicht zuviel Offenheit. So bestehen einige Toiletten beispielsweise lediglich aus einem einzelnen Raum (ohne Trennwaende) mit Loechern im Boden. Man kann sich gut unterhalten waehrend dem Scheissen, u. Umstaenden halt aber auch gegenseitig betaueben (man denke an die Vielseitigkeit der Speisen und die daraus erfolgenden Emissionen).

Auch im Spital kennt man punkto Offenheit kaum Grenzen. Ob bei Diagnose oder Behandlung, wenn es interessant wird, hoeren und sehen alle anderen Patienten auch zu, bei den beliebten Aerzten steht man sowieso in der Schlange durch die offene Tür in den von wartenden Patienten und Angehörigen gefüllten Behandlungsraum. Einige LeserInnen mögen sich fragen, wo denn hier die Intimität bleibt, vielleicht werden sie diesen Bericht sogar als weitere Trophäe in ihre Sammlung der allgemeinen Empoerung  gegenüber der chinesischen Kultur einreihen. Zum Glück befinde ich mich am Tatort und kann mir mein eigenes Bild von der Lage machen… So scheint die Anteilnahme bei Behandlungen in chinesischen Spitaelern eben jenen Aspekt abzudecken, der bei uns abhanden gekommen ist. Sowohl Patienten wie auch Aerzte werden permanent von einer Vielzahl Augen und Ohrenpaaren kontrolliert, so dass diese wirklich etwas bieten müssen. Man kann also tatsächlich einfach mal in ein Spital hineinspazieren und die Aerzte live begutachten. Dazu kommen weitere Vorteile, z. B. dass die Anwesenden beim Zuschauen lernen, sich über ihre ähnliche Leiden austauschen können (unkomplizierte Mikroselbsthilfegruppen :o), und dass Patienten ihre Krankengeschichten nicht unnoetig in die Laenge ziehen, trotzdem aber viel Anteilnahme von allen Anwesenden erfahren…

Das mit den Essensregeln ist uebrigens auch kein Klischee. Zwar waere ein Gastgeber mittlerweile nicht mehr, wie in frueheren Zeiten, enttaeuscht wenn die Gaeste ihr Wohlbefinden nicht durch ausgiebiges Ruelpsen und Furzen demonstrieren, aber immerhin ist es absolut normal. Mag man eine Speise nicht – die Vielfaeltigkeit ist durch die ueber 50 in Kunming vertretenen Minoritaeten enorm – spuckt man sie einfach wieder aus, auf den Tisch oder Boden. Also mir entspricht das alles sehr, ich fuehl mich hier wie zu Hause. Natuerliches Verhalten, das Essen und Leben geniessen… Na gut, so unkompliziert ist auch nicht wieder ganz alles. Obwohl ich mittlerweile viele der vorherrschenden Foermlichkeiten verstehe und auch sympathisiere, kommt es vor, dass die unterschiedlichen Mentalitaeten so aufeinander prallen, dass weder der eine noch der andere versteht was geht. Doch wie gesagt, immer relaxed und lustig…

In einigen der trendigsten und teuersten Bars der Stadt kriegt man als ‚Touri‘ Gratisgetraenke (inkl. Bier, Whisky..). Zusammen mit den partytollen Chinesen habe ich deshalb auch schon tatsaechlich meinen Saufrekord (er-) brechen muessen. Zum Glueck kennen sich die Kollegen im Spital gut mit den entsprechenden Kraueterformula fuer die Nachbehandlung aus, TCM fuer den Alltag… dafuer bin ich ja schliesslich hier… :0)

(die u.e. fotos sind nicht in diesem blog, da sie ürsprünglich als exe file per email an die leser geschickt wurden. die meisten fotos vom china praktikum gibt’s aber hier zu sehen.)

zu den fotos: leider nur kleinformat (schildkroeteninternetconnection), leider keine richtige bildlegende…
1. klassiches Tourifoeteli von Hongkong
2. Bettler haben oft kinder mit mitleidigen dreinschauenden kulleraugen, mal malen sie, mal zeigen sie ihre amputationen…
3. baugerueste, auch von wolkenkratzern und anderen giganten, sind komplett aus bambus
4. himmel kratz das (das gebauede links, bank of china, wurde zur kontroverse, weil es nicht den regeln des Feng Shui entspricht. es verletzt mit den scharfen kanten die energetische harmonie hongkongs. welche nach meinem empfinden uebrigens tatsächlich deutlich zu spueren ist.
5. ginseng – die wohl bekannteste droge der chinesischen medizin wird oft als werbemittel fuer apotheken zur schau gestellt.
6. unglaubliche schnitzereien (voellig abgedreht). dieses ding waere ein nettes souvenier, aber zu heikel fuers reisegepaeck, und auch etwas teuer, umgerechnet so ca. 120’000 Franken.
7. behandlung im tcm spital, jeder will was sehen.
8. die tiere werden ganz gefressen, macht eigentlich auch sinn. mit dem geschmacks-sinn bin ich aber noch nicht ganz im groove…
9. die chinesen werden gerne von den ‚exotischen‘ westlern behandelt und gefoetelet… ich natuerlich auch.
10. zeichen der (er-)schroepfung. (fuer die, die’s nicht wissen: behandlungstechnik bei der schroepfglaeser unter vakuum appliziert werden)
11. weiss auch nicht, wo ich diese tunte abgelichtet habe…

na dann, genug der news aus china. natuerlich freue ich mich, auch von dir etwas zu hoeren. mittlerweile muesste der letzte schnee in der schweiz ja vergangen sein und die baueme tragen ihre bluetenkleider? na dann, viel spass, wenig heuschnupfen (gibts hier nicht…:o) und sowieso eine geile zeit.

raepfel

05.06.2006